Mit seinem Urteil vom 3. April 2025 (Az. 2 AZR 156/24) hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) den Sonderkündigungsschutz für Schwangere klargestellt und zugleich den Weg geebnet, verspätet erhobene Kündigungsschutzklagen nachträglich zuzulassen.
Die Klägerin, seit Dezember 2012 bei der Beklagten beschäftigt, hatte am 14. Mai 2022 eine ordentliche Kündigung erhalten. Erst ein positiver Schwangerschaftstest am 29. Mai 2022 (Sonntag) und die ärztliche Bestätigung der rund sieben Wochen zurückliegenden Schwangerschaft Mitte Juni führten dazu, dass sie gegen die Kündigung klagte – allerdings erst am 13. Juni, also außerhalb der üblichen Drei-Wochen-Frist.
Das BAG stellte in seiner Entscheidung zunächst fest, dass § 4 Satz 4 KSchG, der bei zustimmungsbedürftigen Kündigungen die Klagefrist erst mit der behördlichen Entscheidung in Gang setzt, dann nicht eingreift, wenn der Arbeitgeber zum Zeitpunkt der Kündigung keine Kenntnis von einer bestehenden Schwangerschaft hatte. Denn nur wenn die Umstände, die den Sonderkündigungsschutz nach § 17 MuSchG auslösen, dem Arbeitgeber bekannt sind, wäre eine behördliche Zustimmung überhaupt erforderlich. Liegt diese Unkenntnis vor, beginnt die Drei-Wochen-Frist mit dem Zugang der Kündigung beim Arbeitnehmer.
Anders als mancher Arbeitgeber erwarten mag, verletzen die deutschen Vorschriften damit nicht die Vorgaben der Mutterschutz-Richtlinie (92/85/EWG) oder den unionsrechtlichen Grundsatz der Effektivität. Der EuGH hat in jüngeren Entscheidungen – insbesondere in den Verfahren „Pontin“ (C-63/08) und „Haus Jacobus“ (C-284/23) – zwar Bedenken geäußert, dass sehr kurze Fristen Schwangeren die effektive Durchsetzung ihrer Rechte erschweren könnten; er hat jedoch weder das System der ordentlichen Klagefristen kritisiert noch die nachträgliche Klagezulassung an sich beanstandet.
Entscheidend für die Klägerin war sodann § 5 Abs. 1 Satz 2 KSchG. Er erlaubt es einer Frau, die erst nach Ablauf der Klagefrist unverschuldet von einer bereits zum Kündigungszeitpunkt entstandenen Schwangerschaft erfährt, ihre Kündigungsschutzklage nachträglich zuzulassen – vorausgesetzt, sie stellt den entsprechenden Antrag binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hinderungsgrunds. Das BAG hat in diesem Fall anerkannt, dass die Klägerin den Antrag bereits „vorfristig“, also noch vor dem offiziellen Beginn dieser Zwei-Wochen-Frist, wirksam gestellt hatte. Dadurch blieb ihre Klage wirksam, obwohl der genaue Termin der ärztlichen Untersuchung erst später stattfand.
Die Folgen dieses Urteils sind weitreichend: Arbeitgeber sollten damit rechnen, dass Kündigungen gegenüber – zum Zeitpunkt der Kündigung unerkannter – Schwangeren nicht allein deshalb wirksam sind, weil die Klagefrist versäumt wurde. Arbeitnehmerinnen wiederum erhalten die Gewissheit, dass sie auch dann Schutz genießen, wenn sie von ihrer Schwangerschaft erst später erfahren und dadurch die reguläre Klagefrist reißt.
Aus praktischer Sicht empfiehlt es sich für Arbeitgeber, ihre Kündigungsprozesse genau zu dokumentieren und – bevor Feststellungen über eine Schwangerschaft getroffen werden können – keine vorschnellen Maßnahmen zu ergreifen. Schwangere Arbeitnehmerinnen sollten bei einem positiven Selbsttest umgehend ärztliche Bestätigung einholen und im Zweifel frühzeitig rechtliche Beratung in Anspruch nehmen, um alle Fristen sicher zu wahren. So lassen sich unnötige Streitigkeiten vermeiden und der volle Schutz des Mutterschutzgesetzes bleibt gewährleistet.